Gemeinsam stark – Holzbau in Deutschland
71. Verbandstag Hessischer Zimmermeister in Gießen zeigt, was den Verband ausmacht
von Diana Wetzestein
13./14. Mai 2022_Gießen. Christopher Rinn hatte bei diesem Verbandstag "den Hut" auf. Wer den Obermeister der Zimmererinnung Gießen kennt, weiß, dass er ohne seinen Hut nicht aus dem Haus geht. Auch nicht am 71. Verbandstag. Den richteten Rinn, dessen Ehefrau und Zimmermeisterin Petra Rinn und die Zimmerer-Innung Gießen gemeinsam mit der Geschäftsstelle des Landesinnungsverbandes Holzbau Deutschland – Verband Hessischer Zimmermeister e. V. (HD VHZ) und in Kooperation mit dem Bundesbildungszentrum des Zimmerer- und Ausbaugewerbes (Bubiza) aus Kassel in der Kongresshalle Gießen aus. "Ob neue Methoden oder bewährte Systeme – Holzbau ist innovativ", versprach die Einladung den Mitgliedern, die aus 17 hessischen Innungen nach Gießen kamen. Der Obermeistertagung am Freitag folgte der Zunftabend. Dieses Mal wurde der unter freiem Himmel gefeiert, im Holz- und Technikmuseum, mit Food-Truck und etwa 120 Gästen.
Am Samstag führte Obermeister Rinn dann durch das siebenstündige Programm des "17. Kassler Holzbaukongress on tour", der von Forschung über die konventionelle und digitale Aus- und Weiterbildung die Holz-Brücke zur Praxis schlug. Informationen und Neuigkeiten aus den Bereichen EDV, Software, Holz und Holzwerkstoffe, Maschinen, Befestigungstechnik, Dach und Wand, Baustoffe und Dämmung, im Großen Saal wurde dazu an 39 Ausstellerständen informiert.
Bevor am Ende der Staffelstab für den 72. Verbandstag dem Obermeister der Zimmerer-Innung Hochtaunuskreis, Dieter Paul, übergeben wurde, zeichneten die Referenten in ihren Vorträgen ein Bild, das dem Holzbau aktuell absolut gerecht wird. Bewährte Methoden, neue Impulse, Zukunftsorientiert und immer ein Stück weit besser als der Massivbau.
Allein der digitale Ausflug in das Bubiza, den Dipl.-Ing. Petra Marpe als verantwortliche Leiterin des Holzbau-Kompetenzzentrums im Bubiza unternahm, führte die Zuschauer:innen in eine erstaunlich neue Arbeitswelt. MeLindA, Medienunterstütztes Lernen und Innovation in der Handwerklichen Arbeit, ist ein neuer, virtueller Maschinenraum, in dem alle Maschinen, die im Bubiza stehen und an denen dort auch gearbeitet werden muss, als digitale Animation jederzeit für Übungszwecke bereitstehen. "Für das Kennenlernen der Maschinen und auch für die Prüfungsvorbereitung ein Angebot, das alle nutzen können", so Marpe, die mit "condetti digital" auch bei der Erarbeitung von Detaillösungen im Holzbau einen virtuellen Werkzeugkasten vorstellte.
Für die Aus- und Weiterbildung bestens geeignet und beliebt, ist DaviD, das virtuelle Digitalgebäude. Und das nicht nur im Rahmen der überbetrieblichen Ausbildung, sondern darüber hinaus. "Wir haben hier ein begehbares 3D-Modell in einer online Version geschaffen, das auf einer umfangreichen Datenbank basiert. So ist es möglich, verschiedene Wandaufbauten, Türen, Holzbauweisen, Kellerwand, Baugründung und vielen anderen Details einzusehen. Diese Darstellung könne auch für Bauwillige von großem Interesse sein, so Marpe. Mit allen gängigen Endgeräten wie Handy, Tablet oder Laptop sind die neuen digitalen Angebote des Bubiza zu erreichen.
Prof. Dr.-Ing. Achim Vogelsberg, Vorsitzender pro holzbau hessen, warb für ein Studium an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), der zweitgrößten Fachhochschule Deutschlands und größten praxisorientierten Hochschule in Hessen. Allein in Gießen zähle man 10.000 Studierende, davon 1.065 Bauingenieure und 585 Architekten im Fachbereich Holzbau. "Die Anmeldungen zum Studium gehen vermutlich coronabedingt zurück, wir müssen abwarten, wie die weitere Entwicklung sein wird", sagte der Professor für Holzbau und Tragwerksplanung. "2020 wurden fast doppelt so viele Forschungsprojekte bewilligt als 2015. Die bewilligten Drittmittel lagen bei fast elf Millionen Euro", so Vogelsberg, der hier einen enormen Mehrwert für die Studierenden versprach.
Noah Böhm ist einer der Absolventen, der mit dem Master of Engineering (M.Eng.) an der THM einen akademischen Grad erlangt hat, dort zurzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist und promovieren wird. Er unternahm einen "Exkurs in die Entwicklung und Untersuchung eines hybriden Tragwerks aus Brettsperrholz im Verbund mit Stahlträgern. Und gab detaillierte Einblicke in die Untersuchungen zum Anschlussverhalten, der Optimierung, den Bemessungsmethoden und Grundlagen der Standardisierung typisierter Holzbauanschlüsse aus reinen Holzverbindungen ohne metallische Verbindungsmittel.
Alles geht - mit Holz. Gerrit Horn Fachbuchautor, Zimmermeister, Architekt und ö. b. u. v. Sachverständiger für das Zimmererhandwerk stellte Inhalte seines neuen Buches "Holzrahmenbau: Bewährtes Hausbau-System" vor. Dass diese etablierte Bauweise immer mehr in den Fokus rücke, habe vor allem mit dem Wunsch nach ökologischen Baustoffen, Wohngesundheit und dem Ruf nach effizienteren Bauweisen im Hinblick auf den Klimaschutz zu tun. Die Holzbauquote bei den genehmigten Wohngebäuden sei laut Statistischem Bundesamt von 16,2 Prozent im Jahr 2016 auf 20,4 Prozent im Jahr 2020 gestiegen. Das große Süd-Nord-Gefälle von 33,4 Prozent in Baden-Württemberg bis 10,9 Prozent in Niedersachsen stehe in direktem Zusammenhang mit der Bewaldung der jeweiligen Bundesländer.
Der moderne Holzrahmenbau habe Potential, schon allein aufgrund der hohen Vorfertigungsgrade. Das sei zeitgemäß, aber der Fachkräftemangel stehe dem immer weiter steigenden Bedarf an Holzbauten gegenüber, wenn nicht sogar im Weg. Das KfW-Effizienzhaus 55 habe es zum Mindeststandart geschafft, seit Februar 2022 gibt es keine Neubauförderung mehr, seit April wird nur noch das "EH 40 NH" gefördert. Effizienzhaus 40 mit Nachhaltigkeitszertifikat. Bei Fördermitteln von höchstens 28.750 Euro und der Tatsache, dass es derzeit unter 100 Personen gebe, die dieses Zertifikat ausstellen könnten, riet Horn von dem Vorhaben ab, ein "EH 40 NH" zu bauen und auf die Förderung zu hoffen. "Die Bewertung wird am Ende der Baumaßnahme vorgenommen, wenn alle Unterlagen vorliegen und ausgewertet sind. Wird das Zertifikat nicht ausgestellt, wird der Tilgungszuschuss nicht gewährt, das wirkt sich negativ auf den KfW-Kredit aus. Ich kann nur jeden warnen, so ein Haus derzeit anzubieten", sagte Horn.
Aus der Theorie in die Praxis ging es dann mit Holz-Ing. Klaus Drücker, STEICO Akademie, Feldkirchen. Die Herstellung leistungsfähiger Anschlüsse aus Furnierschichtholz und Stegträgern war das Thema seines Vortrages. Denn neben den ökologischen Dämmstoffen aus Holzfaser und Zellulose hat STEICO mit dem Stegträger aus Furnierschichtholz einen schlanken Baustoff entwickelt, der einen prominenten Platz bei der Verarbeitung von Rundholz im Werk einnimmt. "Aus 2,3 Kubikmeter Rundholz werden 1 m³ Furnierschichtholz, 0,5 m³ Holzfaserdämmstoffe, 0,2 m³ Kernholz für Transportpaletten gemacht, die restlichen 0,6 m³ werden thermisch verwertet", so Drücker. Damit habe STEICO eine einhundertprozentige Rohstoffnutzung erreicht.
Mit dem Furnierschichtholz aus Fichte seien nicht nur schlanke Fensterstürze möglich, die zudem Wärmebrücken ausschließen, vor allem könne das Furnierschichtholz mit seinem sehr geringen Quell- und Schwindmaß punkten. "Wir können STEICO LVL R als Schwelle oder Rähm einsetzen und haben im Vergleich zu Nadelholz C24 bei 55 Prozent geringerem Holzeinsatz eine bessere Druckfestigkeit, das können wir mit STEICO GLVL R noch steigern und dabei 75 Prozent Holz sparen", so Drücker.
Vom Neubau schlug Dr.-Ing. Diana Wiedemann, Grundmann + Wiedemann Architekten, mit ihrem Vortrag: "Was haben regionale Baukultur, Holz und Design mit Klimaschutz zu tun?", eine Brücke zu den Bestandsgebäuden im Schwarzwald. Die Architektin und Energieberaterin, dort neben ihrem Beruf auch ehrenamtlich als Vorsitzende des Vereins Bauwerk Schwarzwald e. V. tätig, bearbeitet dort die Themen Baukultur sowie Handwerk und Design. "Die Baukultur ist die Summe, der von den Menschen errichteten Gebäude", sagte sie. Bereits in der Davos-Erklärung im Jahr 2018 wurde konstatiert, dass das Baugeschehen in Europa insgesamt eine ungute Entwicklung nimmt. Bemängelt wurden Nachhaltigkeit, Uniformität, Qualität, Regionalität und Individualität. Diese Entwicklung schreitet fort, so Dr.-Ing. Wiedemann. Sie wies auf die Verantwortung der Bauherren hin, denn jedes Gebäude wirke in der Region, in der es stehe.
Mit dem Bauwerk Schwarzwald wurde darum ein Kompetenzzentrum geschaffen, um darauf aufmerksam zu machen, wie eine Verbindung zwischen traditioneller Bauweise und moderner Architektur geschaffen werden kann, die in die Kulturlandschaft passt. "Wir wollen keine Museumslandschaft aufbauen, sondern regionalspezifische Bau- und Handwerkskultur fördern und die Menschen darauf aufmerksam machen. Wir bündeln Wissen über Bautechniken, bearbeiten Themen wie Wald, Handwerkstechniken, Architektur und vieles mehr", sagte sie. Nachhaltigkeit bedeute, Bestandsgebäude zu erhalten, denn neben den denkmalgeschützten Gebäuden und denjenigen, die als besonders erhaltenswerte Bausubstanz gelten, machten diese bis zu 35 Prozent aller Gebäude aus. Bei etwa 20 Millionen Bestandsgebäuden in Deutschland stellt das eine große Verantwortung und eine Herausforderung dar, die nur gemeinsam angenommen werden kann.
Am Ende dieses Tages wurde einmal mehr bewiesen, dass auch dieser 71. Verbandstag ein besonderes Wissensupdate geboten hat. Die Zimmerer-Innung Gießen hat ihn geprägt und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt. Die Innung Hochtaunuskreis wird im kommenden Jahr ihre Region und ihre Werte präsentieren.
Die Meinung von Diana Wetzestein:
Die für diesen Verbandstag geladenen Gäste und Themen haben für mich die gesamte Wertschöpfung des Holzbaus dargestellt. Hochkarätig. Als Schreib-Handwerkerin sind für mich auch die Begleitbroschüren "Bildungsangebote für den Holzbau", "71. Verbandstag" sowie "Gemeinsam stark – partnerschaftlich nah" ein Gewerk dieser Wertschöpfungskette. Denn sie sind nicht nur ein Spiegelbild für Qualität und Vielfältigkeit der Aus- und Weiterbildungsangebote, sie sind noch viel mehr. Diese Handouts sollten zuhause nicht nur durchblättert und dann im Arbeitsalltag unter dem Stapel von Fachzeitschriften und Informationsmaterial verschwinden. Sie sollten intensiv gelesen und wahrgenommen werden. Es sind professionelle Broschüren, die zeigen, was Holzbau Deutschland – Verband Hessischer Zimmermeister e. V. als Berufsverband leistet und welchen Mehrwert er bietet.
Dass es hierbei nicht nur um finanzielle Themen geht, macht Elmar Mette, Zimmermeister und Mitarbeiter bei HD VHZ im Editorial der Broschüre "Gemeinsam stark – partnerschaftlich nah" in einem Satz sehr deutlich: "Wären alle Zimmerleute Einzelkämpfer und wollten den Innungsbeitrag bzw. den Anteil für die weitergehenden Organisationen auf Landes- und Bundesebene einsparen – wir würden heute noch grünes Gift auf klitschnasses Holz aufbringen." Jeder, der es noch kennt und das liest hat den Geruch sofort wieder in der Nase und erinnert sich an die vom Gift zerfressene Kluft oder spontanes Nasenbluten. Das Holzhandwerk war schon immer von größter Bedeutung, es hat mit Menschen und Natur zu tun. Die Verantwortung ist dementsprechend groß. Darum bitte ich Sie: Bleiben Sie gemeinsam stark und partnerschaftlich nah!