Verträge sind einzuhalten, aber…
Über die vertragsrechtlichen Herausforderungen der Zimmerer- und Holzbaubetriebe referierte Dr. Burkhard Siebert, Rechtsanwalt und Hauptgeschäftsführer, Bauindustrieverband Hessen-Thüringen e.V.
31. Mai 2021, Kassel - Diana Wetzestein
Die Stimmung am Holzmarkt ist aufgeheizt. Jetzt braucht es Argumente und Wege, auf die auch die Mitglieder von pro holzbau hessen zurückgreifen können. Nach Gesprächen mit Forst, Sägeindustrie, Handel und Handwerk, hatte pro holzbau hessen nun dazu eingeladen, den Holzmarkt unter vertragsrechtlichen Gesichtspunkten zu betrachten. "Die Situation ist komplex, der betriebliche Alltag bezieht auch juristische Fragen mit ein. Darum sind die Einblicke, die uns Dr. Siebert heute geben kann, sicher für alle von großer Bedeutung", sagte Alexander Hohbein, Geschäftsführer pro holzbau hessen, zu Beginn des 90-minütigen Online-Seminars zu den knapp 40 Teilnehmer*innen. Zukünftige Vertragsbestandteile, Stoffpreisgleitklausel sowie der Umgang mit Bauverzögerungen und Preisanpassungen standen auf der Agenda.
Einige Zimmermeister berichteten eingangs über die vielen innerbetriebliche "Baustellen", bei der Beschaffung der Baustoffe genauso, wie bei der Erfüllung von Verträgen und der Erstellung von Angeboten für Neuverträge. Wer jetzt OSB-, KVH- oder BSH-Produkte bestellt, bekommt Auftragsbestätigungen ohne Lieferzeit- und Preisangabe. Die bestellten Mengen werden meist nicht bestätigt, lediglich Kontingente zugewiesen und in Teilmengen geliefert. Die Preise - bei den OSB-Platten stiegen sie von Mitte bis Ende Mai um 30 Prozent, seit Januar 2021 um 300 Prozent – und die allgemeine Situation am Holzmarkt machen es Handel und Handwerk unmöglich, verlässliche Kalkulationen abzugeben und die kommenden Monate zu planen.
Diese Situation habe das Bundesministerium des Inneren (BMI) auf die aktuelle Situation am Holzmarkt mit drei Erlassen reagieren lassen, sagte Dr. Burkhard Siebert. Der Rechtsanwalt und Hauptgeschäftsführer vom Bauindustrieverband Hessen-Thüringen e.V. wies darauf hin, dass es sich derzeit in der Holzbaubranche um eine Situation handle, die auch der Pandemie geschuldet und extrem sei.
Störungen und Stillstände müsse man - laut BMI - "mit Augenmaß werten", die Unternehmer müssten den Tagbestand der höherer Gewalt nicht mit der Akribie darlegen, wie es sonst nötig sei. Die höheren Kosten für besondere Hygienemaßnahmen seien ferner von Bund bzw. Land zu übernehmen, Bauzeitverlängerung und Anpassung bestehender Verträge seien in Ausnahmefällen möglich. Die Erlasse gelten bei Bauvorhaben von Bund und Ländern, hätten allerdings auch eine Signalwirkung auf Verträge mit privaten Bauherr*innen.
"Wer Vertragsanpassungen bei Bestandsverträgen vornehmen will, muss Argumente sammeln. Neben den Waldschäden und Produktionskapazitäten in Europa, ist es vor allem die Pandemie, die für diese extreme Situation verantwortlich gemacht werden kann", sagte der Rechtsanwalt. So könne diese Situation eine Störung der Geschäftsgrundlage hervorrufen, wenn die Preissteigerungen so hoch seien, dass eine Insolvenz drohe, wenn der Vertrag nicht angepasst würde. Hier könne der § 313 BGB helfen, der die Störung der Geschäftsgrundlage wie folgt regelt:
"Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann."
"Diese Regelung in § 313 Absatz 1 stellt auf Ausnahmesituationen ab. Die Pandemie ist ein Jahrhundertereignis und die daraus resultierende Materialknappheit stellt ein ungewöhnliches Ereignis dar, die Beweislast liegt beim Auftragnehmer, er muss eine Behinderung gegenüber dem Auftraggeber schriftlich anzeigen und die Störung der Geschäftsgrundlage untermauern", sagte Dr. Siebert.
Ein ungewöhnliches Ereignis oder höhere Gewalt seien die Voraussetzung für die vertragliche Anpassung der Bauzeit, um Vertragsstrafen abzuwenden. Darum riet er den Teilnehmer*innen, die Bestandsverträge auf Vertragsstrafen zu prüfen. Zu prüfen sei auch, ob bauseitig eine Störung oder Behinderung vorliege, die dazu geführt habe, dass erst später bestellt werden konnte und deshalb die Preiserhöhung zum Tragen käme.
Obgleich der Grundsatz "Verträge sind einzuhalten" (pacta sunt servanda) gelte, seien auch Preissteigerungen möglich, wenn eine extreme Ausnahme vorliege und ein Festhalten an den vertraglich vereinbarten Preisen nicht zumutbar wäre. Bei privaten Auftraggebern sei es sicher einfacher nachzuverhandeln als bei öffentlichen Bauträger*innen.
"Wenn Sie eine Brücke aus Beton bauen und dabei die Holzschalung momentan teurer ist, wirkt sich das nicht so stark auf den Gesamtpreis aus, wie beim Bau eines Holzhauses. Die Preissteigerung muss sich erheblich auf ihren Gesamtpreis auswirken, damit eine Ausnahmesituation geltend gemacht werden kann", so Dr. Siebert.
Für ihn persönlich stelle die aktuelle Situation am Holzmarkt mit Preissteigerungen von über 300 Prozent aber durchaus eine extreme Ausnahme dar, die Unternehmen schwere finanzielle Schäden zufügen könnten. "Mainstream ist aber, dass dieser § 313 hier nicht bei Unternehmen anzuwenden ist, sondern nur dort, wo eine Insolvenz droht. Wenn Unternehmen, die keine finanziellen Rücklagen gebildet haben, hier bessergestellt würden als diejenigen, die eine gute finanzielle Grundlage haben, wäre das nicht richtig", so Dr. Siebert.
Vor dem Abschluss von Neuverträgen sollten die Unternehmer genau überlegen, ob die Bauherr*innen das Material im Vorfeld einkaufen oder das Bauunternehmen beauftragen können, namens und für Rechnung der Bauherr*innen das Baumaterial zu beschaffen. Auch die Vereinbarung einer Grenze, bis zu der ein Bauunternehmen etwaige Preissteigerungen tragen muss, sei zu überlegen, so Dr. Siebert. "Die Stoffpreisgleitklausel für Neuverträge bei öffentlichen Aufträgen sehe ich eher skeptisch. Wenn diese mit den Auftraggebern vereinbart ist, dann gilt sie auch bei fallenden Materialpreisen und dann müsste Geld zurückbezahlt werden", so Dr. Siebert.
Auch in dieser Veranstaltung wurde deutlich, wie stark sich die Turbulenzen am weltweiten Holzmarkt auch in den hessischen Unternehmen auswirken. Jeder Betrieb hat derzeit seine ganz eigene Herausforderung zu bewältigen, die in sein Tagesgeschäft "Holzbau" massiv eingreift. Die juristischen Hinweise von Dr. Siebert setzten dennoch das Signal, dass es möglich ist, besonnen zu reagieren und zu kommunizieren.