Wie Brettsperrholz Beton ersetzen soll
Wohnraum schaffen und das Klima schonen – zwei politische Ziele, die nicht erst von Bedeutung sind, seitdem sie prominent im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung stehen. Zwei Ziele aber auch, die sich teilweise widersprechen. Denn im Bau wird bei großen Deckenspannweiten meist auf Stahlbetonsysteme oder Beton-Stahl-Verbundträger gesetzt. Die Beton-Produktion, maßgeblich die des Hauptbestandteils Zements, ist jedoch extrem klimaschädlich: Die Zementindustrie trägt etwa acht Prozent zum globalen CO2-Ausstoß bei. Die Technische Hochschule Mittelhessen (THM) und das Wettenberger Holzbauunternehmen Kai Laumann wollen mit weiteren Partnern eine klimafreundliche Alternative entwickeln.Das Augenmerk von Prof. Dr.-Ing. Achim Vogelsberg und Prof. Dr.-Ing. Bertram Kühn vom Fachbereich Bauwesen der THM sowie Handwerksmeister Kai Laumann liegt dabei auf einem unterschätzten Baustoff: Brettsperrholz. Im Rahmen eines durch das hessische Forschungsförderungsprogramm LOEWE3 mit rund 350.000 Euro finanzierten Projektes entwickeln und untersuchen sie ein hybrides Tragwerk aus Brettsperrholz im Verbund mit Stahlträgern zur Verwendung in Deckensystemen. „Wir setzen dabei auf ein aus dem Beton-Stahl-Verbundbau bewährtes Prinzip“, erläutert Prof. Vogelsberg. Dabei werden die Platten auf dem Oberflansch eines Stahlträgers fixiert.
Wegen des verwendeten Brettsperrholzes ist die Konstruktion leichter, flexibler und umweltfreundlicher als eine vergleichbare Konstruktion mit Beton. „Die Herausforderung ist das Herstellen einer schubfesten Verbindung zwischen Brettsperrholz und Stahl“, erklärt Laumann. Die ist aber zwingend notwendig, um einen Verbund herzustellen und eine Belastbarkeit zu erreichen, die die angepeilte Verwendung des Systems in Deckensystemen mit sechs bis 15 Metern Spannweite in Wohn-, Büro- und Industriegebäuden ermöglicht. Auch bei Aufstockungen und Nachverdichtungen soll das System zur Anwendung kommen können – sicherlich eine der umweltschonendsten Arten zur Schaffung von Wohnraum.
In der ersten, seit November laufenden Forschungsphase geht es zusammen mit beteiligten Ingenieurbüros um die Entwicklung möglicher, leicht montierbarer und hochtragfähiger Verbundmittelvarianten. Wichtig ist auch die Rückbau- und Wiederverwertbarkeit. Im Anschluss sollen im Holzbauunternehmen Laumann mithilfe der erfolgversprechendsten Verbindungslösungen kleinformatige Verbundkörper hergestellt, die später an der THM auf Tragfähigkeit und Nachgiebigkeit untersucht werden.
In der zweiten Projektphase geht es dann ab Herbst 2022 um das Konstruieren, Herstellen und Prüfen von Großbauteilen. Dies ist für spätere Anwender entscheidend, denn die üblichen baustatischen Modelle sind bei Brettsperrholz-Stahl-Verbundträgern nicht anwendbar. Neue Berechnungsmethoden für Verbundbauteile unter der Berücksichtigung mehrerer, ungleichförmiger Nachgiebigkeiten stellen eine wissenschaftliche Neuerung dar.
Schließlich, voraussichtlich ab Ende 2023, erfolgt eine Wirtschaftlichkeitsberechnung und bei Erfolg die Vorbereitung einer bauaufsichtlichen Zulassung. Wenn sich Anwendbarkeit und Effizienz erweisen, sehen die Projektpartner großes Potenzial: „In Deutschland wurden allein 2019 mehr als 8000 Gebäude in Stahl- oder Stahlverbundbauweise errichtet, deren Decken sich grundsätzlich zur Anwendung unseres Systems eignen“, rechnet Prof. Dr.-Ing Achim Vogelsberg vor. Ergänzt um Decken von größeren Gebäuden kämen jährlich etwa 500 Mehrfamilienhäuser, über 2700 Industrie- und Logistikgebäude, mehr als 1500 Büro-, Anstalts- und Bildungsgebäude sowie rund 100 Hotels und Gaststätten hinzu. „Für den Bauträger als Endkunden rechnen wir dabei mittelfristig mit ähnlichen Preisen wie bei derzeitiger Bauweise“, sagt Kai Laumann – Fortschritt im Bau, der die Umwelt entlastet, ohne das Konto zu belasten.
Quelle: THM Pressestelle, Gießen, 22. Dezember 2021